Inhalt:
Spagat zwischen Denkmalschutz und modernem Unibetrieb
Moderne Technik und historische Details
Erhalten und weiterdenken
Kontrastprogramm
Aus Gefängniszellen werden Bildungszellen
Besonderheit Tragwerksplanung
Spagat zwischen Denkmalschutz und modernem Unibetrieb
Im Jahr 2014 haben nach Beseitigung der Brandschäden und einer Schimmelsanierung die Bauarbeiten am denkmalgeschützten Schloss begonnen. Ziel der Modernisierung war es, die drei Flügel des Schlosses zu einer Einheit zusammenzufassen und einen zeitgemäßen Universitäts- und Lehrbetrieb zu ermöglichen. Keine leichte Aufgabe, sondern ein ständiger Spagat zwischen Denkmalschutz und modernem Unibetrieb. Aus Gefängniszellen wurden Bildungszellen, so dass auf etwa 4.500 m2 den Mitarbeitern und Studierenden nach den Baumaßnahmen nun moderne Büro- und Seminarräume sowie eine neue Bibliothek zur Verfügung stehen. Bauherr ist das Land NRW, vertreten durch den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, Niederlassung Dortmund.
Moderne Technik und historische Details
Ursprünglich als Franziskanerkloster erbaut, wurde das Untere Schloss Siegen im 17. Jahrhundert Residenz der protestantischen Linie des Hauses Nassau-Siegen. Noch heute befindet sich im Mitteltrakt des Schlosses die ebenfalls im 17. Jahrhundert erbaute Fürstengruft Johann Moritz Nassau-Siegens. Ab dem 18. Jahrhundert diente das Schloss als Behördenhaus, in der Zeit von 1936 bis 2011 als Nebenstelle der Justizvollzugsanstalt Attendorn. Die historischen Sitzungssäle sind heute noch vorhanden. Diesen, durch die Nutzungsgeschichte geprägten Charakter des Schlosses, galt es zu erhalten. Details und Erinnerungen vergangener Zeiten sollten nicht ausgelöscht, sondern erlebbar bleiben. Für die Fassadensanierung bedeutete dies, zunächst Analysen von Putz- und Fassadenschichten vorzunehmen, um die neu aufzutragende Farbe an die historische Farbgebung anzulehnen. So ist das vertraute Gelb geblieben, lediglich etwas intensiver als zuvor ausgeführt.
Die Fenster, größtenteils Holz-Sprossenfenster mit einer Einfachverglasung, waren in großen Teilen marode und abgängig. Lediglich im Mittelrisalit des Hauptflügels sowie in der Eingangsachse des Kurländer Flügels wurden diese Fenster als Belegachse erhalten und aufgearbeitet.
Die abgängigen Bestandsfenster zu ersetzen, erwies sich als keine leichte Aufgabe, da Gebäude dieser Art und aus dieser Zeit oftmals nicht nur mit einer Sorte genormter Fenster ausgestattet waren. Um die Fenster gestalterisch an das historische Vorbild anzulehnen, wurde jedes Fenster bei der Realisierung separat ausgemessen und entsprechend gefertigt. Äußerlich entsprechen diese jetzt dem historischen Bestand, technisch dem modernen Standard.
Die Dacheindeckung des gesamten Schlosses aus Schiefer erwies sich aufgrund der Witterungseinflüsse als stark sanierungsbedürftig, so dass die Eindeckung entfernt, die vorhandene Dachschalung an schadhaften Stellen erneuert und eine neu Schiefereindeckung mit Moselschiefer in altdeutscher Deckung aufgetragen wurde. In Gänze wurden hierbei rund 5.300 m² Dachfläche mit neuem Schiefer eingedeckt.
Erhalten und weiterdenken
Das Untere Schloss Siegen besteht aus drei Flügeln, dem Hauptflügel (Corps de Logis), dem Kurländerflügel und dem Wittgensteinerflügel (ehemals JVA) sowie dem sogenannten „dicken Turm“, welcher den Abschluss am Kurländerflügel bildet.
Der Haupt- und Kurländerflügel sollten in ihrer wesentlichen Funktion als Büronutzung erhalten bleiben und entsprechend dem heutigen Standard von Büroräumen modernisiert werden. Zusätzlich wurden die Büroflächen um Seminarräume ergänzt, die sich unter anderem in den teilweise unter Denkmalschutz stehenden Gerichtssälen wiederfinden.
Bei den ehemaligen Gerichtssälen bestand die Herausforderung darin, die wesentlichen Teile der alten Ausstattung, wie zum Beispiel die alten Gerichtstische und Bänke, die Holzvertäfelung, den Parkettboden sowie die historischen Kronleuchter zu erhalten und aufzuarbeiten, gleichzeitig jedoch auch eine Erneuerung der Deckenbekleidung als akustisch wirksame Fläche inklusive neuer Beleuchtung sowie moderner Elektrotechnik einzubringen, so dass die Nutzung als Seminar- und Besprechungsraum gewährleistet ist.
Neben der Modernisierung der Büroräume und Ergänzung entsprechender Nebenräume, sollte das gesamte Schloss weitestgehend barrierefrei zu erschließen sein. Hierfür wurden ein zusätzlicher Fahrstuhl sowie diverse Rampen integriert. Aufgrund der gewachsenen Struktur und diverser Höhenunterschiede in dem alten Gemäuer wäre eine vollumfängliche barrierefreie Erschließung nur mit erheblichen baulichen Eingriffen möglich gewesen, auf die man aus denkmalrechtlichen Gründen verzichtet hat.
Kontrastprogramm
Der klassische Ort des konzentrierten Lernens in einer Hochschule ist die Bibliothek. Diese sollte auch im Unteren Schloss nicht fehlen und ursprünglich im gesamten Wittgensteinerflügel (ehemals JVA) eingerichtet werden. Nach einer umfangreichen Bestandsuntersuchung wurde jedoch festgestellt, dass dieser Flügel die erforderlichen Deckenlasten einer Bibliothek nicht in Gänze erfüllen konnte und zudem einen enormen Höhensprung aufwies, so dass für die Umnutzung in eine Bibliothek lediglich die Errichtung eines Neubaus für Teile der Bibliothek in Frage kam. Bewusst hat man sich an dieser Stelle für einen direkt an den Bestand angrenzenden, nicht historisiernden, neutralen und zeitlosen Baukörper entschieden. Mit seinen geordneten Lochfenstern steht der kompakte Neubau ganz bewusst im klaren Kontrast zum denkmalgeschützten Altbau. Ergänzt wird der zweigeschossige Bibliotheksneubau mit seiner Fassade aus beigefarbenem, geschlemmtem Ziegel durch einen eingeschossigen Anbau in Sichtbeton. Zusammen mit dem bestehenden Wittgensteiner Flügel bilden die beiden Baukörper einen geschützten Innenhof, der zum Verweilen einlädt. Die neue Bibliothek erhielt einen zentralen Eingang vom Schlossvorplatz. Eine Windfangkonstruktion wurde als architektonisches Element zur Hervorhebung des neuen Eingangs im Schlossinnenhof errichtet.
Aus Gefängniszellen werden Bildungszellen
Im Innenraum der Bibliothek finden die Studierenden moderne Lern-, Arbeits- und Loungebereiche vor. Der erhaltene Bereich des Wittgensteinerflügels wurde weitestgehend entkernt. Nachweislich historisches Mauerwerk im Inneren blieb bestehen und in das neue moderne Raumkonzept integriert. Bis vor fünf Jahren wurde dieser noch als Gefängnis genutzt. Nach der Modernisierung werden die Wirtschaftswissenschaftler/innen nicht mehr von Justizvollzugsbeamten und Sicherheitsschleusen empfangen, sondern von einem offenen und lichtdurchfluteten Eingangsbereich mit Info-Theke. Die tristen Gefängnishallen wurden zu hellen Räumen mit einer freundlichen Atmosphäre umgebaut. Als Zeugnis historischer Zeiten wurden die dicken Steinmauern des denkmalgeschützten Schlosses als Torbogen an einigen Stellen freigelegt und als Stilelement in die Innenraumgestaltung mit einbezogen. Ehemalige Zellen, in denen die Gefangenen ihre Taten überdenken sollten, stehen jetzt als Einzel- und Gruppenarbeitsräume für Studierende zur Verfügung. Mehr als 160 Arbeitsplätze sind in der neuen Bibliothek vorhanden. Loungebereiche und der Innenhof stehen für kleine Pausen zur Verfügung.
Besonderheit Tragwerksplanung
Der Wittgensteiner Flügel des Schlosses, ehemals JVA, sollte zu einer Bibliothek umgenutzt werden. Allerdings konnte der Gebäudebestand die erforderlichen Deckenlasten einer Bibliothek nicht erfüllen und wies einen Höhenversprung um ein halbes Geschoss auf. Die Bestandsuntersuchung ergab, dass Decken und Tragwerke entweder ersetzt und/oder mittels Stahlträger ertüchtigt werden müssten, so dass ein Teil des Flügels zurückgebaut wurde. Im vorgeschalteten Bereich befand sich im Obergeschoss eine Turnhalle. Hier wurde die Decke über dem Erdgeschoss entfernt und durch eine neue Stahlbetondecke ersetzt. Stahlbetonunterzüge als Einfeldträger mit Kragarm bilden die Auflager für die einseitig gespannte Decke. Um die Mauerwerksaußenwand zu halten, wurden Decke und Wand gekoppelt. Der Lastabtrag der Unterzüge erfolgt über eingerückte Stahlbetonstützen, die auf Einzelfundamenten gegründet wurden. Im Eingangsbereich wurde das Bestandsgebäude bis auf die Außenwände entkernt und über dem zweiten Obergeschoss ein Pfettendach errichtet, das aus Einfeldträgersparren auf Fuß- und Firstpfetten besteht. Während die Lasten der Fußpfette direkt an die Außenwand weitergegeben werden, findet die Firstpfette ihre Endauflager auf Wänden und ihre Mittelauflager auf Holzstützen. Die Decke über dem ersten Obergeschoss wurde massiv in Stahlbeton erstellt und liegt teils auf Stahlbetonstützten und teils auf Wänden. Durch die Auflagerung der Decke auf den Außenwänden mittels Auflagertaschen erhält die Außenwand auch hier eine horizontale Halterung.