Forschende prägen bauliches Umfeld
Unser Projektleiter im Gespräch mit zwei Professoren des DZN und BIN
In Göttingen haben wir das neue Forschungsgebäude des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen DZNE-BIN geplant und realisiert. Es bietet moderne Voraussetzungen, um auf dem Gebiet neurodegenerativer Erkrankungen, wie Alzheimer neue Erkenntnisse zu gewinnen. Während das DZNE die Ursachen und Mechanismen neurodegenerativer Krankheiten erforscht, ist das Ziel des BIN, die bildliche Darstellung zu entwickeln
Unser Projektleiter Michael Jäger (Abk. im Folgenden: MJ) im Gespräch mit Prof. Dr. André Fischer (Abk. im Folgenden: AF), Standortsprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Göttingen, und Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli (Abk. im Folgenden: SR), Vorstandssprecher des Center for Biostructural Imaging of Neurodegeneration (BIN) in Göttingen, über das neue Forschungsgebäude und wie Forschende das bauliche Umfeld entscheidend mitprägen können und sollten.
In welchem Forschungsbereich sind Sie tätig und was erforschen Sie?
AF: Wir untersuchen neurodegenerative Erkrankungen. Das sind Erkrankungen des Nervensystems, des Gehirns, bei denen in der Regel Nervenzellen absterben. Das bekannteste Beispiel ist sicher die Alzheimer-Demenz. Das große Problem ist, dass man bisher kein wirksames Medikament entwickelt hat. Das Risiko zu erkranken, ist abhängig von Umweltfaktoren und genetischen Faktoren. Wir befassen uns mit dem Thema Epigenetik, also genau mit der Schnittstelle dieser beiden Faktoren. Epigenetik erforscht die Prozesse, die die Interaktion von Umweltfaktoren und genetischen Faktoren regulieren. Bei Alzheimer sind diese deutlich dereguliert. Wir forschen daran, Schalter zu finden, um regenerative Prozesse des Nervensystems anzuregen. Darüber hinaus hinterlassen Umweltfaktoren epigenetische Spuren. Unser Auftrag ist, diese Spuren zu entschlüsseln und daraus Biomarker zu messen, die Risikopopulationen aufzeigen, damit man im Rahmen der Früherkennung gezielte Therapien einleiten kann.
SR: Und damit das gelingt, haben wir gemeinsam mit dem Team von pbr dieses Gebäude entwickelt: Eine Idee hinter dem Entwurf war, die spektakulärste, neueste Mikroskopie mit dem Forschungsobjekt der Epigenetik zusammenzuführen, um die bildgebenden Methoden im nanoskaligen Bereich für die Medizin anzuwenden.
Wie konnten Sie sich als Forschende in den Planungsprozess einbringen?
SR: Ich habe an verschiedenen Instituten in England, den USA und Rumänien gearbeitet. Meistens steht man vor der Situation, dass ein Gebäude schon besteht oder gebaut wird und man darauf nicht einwirken kann. Dieses Mal konnten wir selbst kleinste Details schon vor der Planung einbringen. Hier im Hause arbeiten Chemiker:innen, Biologe:innen und Biochemiker:innen. Sie benötigten jeweils separate Räume mit speziellen Eigenschaften, sollten aber trotzdem gut mit den anderen Forschenden und Gruppen kooperieren können. Wir verfügen jetzt über kooperative Räume, die für viele Funktionen gemacht worden sind. Bei anderen Instituten habe ich erlebt, dass die Architektur zwar sehr schön, aber nicht für die Forschung gemacht ist. Deshalb sind wir sehr froh, dass wir in der Planung mitwirken und die Räume nach unseren Anforderungen zusammenstellen konnten.
AF: Ein ganz wichtiger Punkt, der mir am Herzen liegt, ist, dass neue Entdeckungen, obwohl heute alles computerbasiert ist, durch die Interaktion von Menschen entstehen. Gerade für ein Forschungsgebäude, in dem es um Kreativität und den Anspruch geht, Neuland in einem Forschungsgebiet zu erschließen, ist es entscheidend, dass die Räume eine Interaktion ermöglichen. Deshalb haben wir darauf geachtet, dass man eher größere Büro- und Laborräume hat und Leute miteinander in räumlichen Einheiten arbeiten. Ganz entscheidend war, dass die unterschiedlichen Arbeitsgruppen in dem Gebäude die Möglichkeit haben, sich gegenseitig auszutauschen. Eine verschnörkelte Architektur wäre für unseren Zweck gar nicht angemessen gewesen, weil sie zwar von außen schön aussieht, aber keine Kommunikation zulässt.
Welche Anforderungen hatten Sie an die Räume und welche Bedeutung hat die räumliche Flexibilität in den Laboren, z. B. aufgrund sich wandelnder Anforderungen?
SR: Man muss so planen, dass die Räume so modular und standardisiert sind wie möglich. Mit neuen Projekten kommen auch neue Mitarbeitende. Wenn die Räume total auf die Anforderungen in den Projekten spezialisiert wären, würden wir Probleme bekommen, sobald neue Nutzungen notwendig werden. Nur für Spezialräume wie für das Nano-Sekundärionen-Massenspektrometer (NanoSIMS) musste jedes Detail penibel im Voraus geplant sein, damit das Gerät einwandfrei funktioniert.
AF: Wir haben im Bauprozess natürlich Kompromisse machen müssen aufgrund des Budgets. Büroräume sind deutlich günstiger als Laborräume. Ich habe versucht umzusetzen, dass man so viele Laborräume wie möglich erhält, auch wenn man sie nicht sofort nutzt. Im Nachhinein ein Labor auch mal kurzzeitig als Büro einzusetzen ist deutlich einfacher und günstiger, als ein Büro zu einem Nasslabor umzurüsten.
Welche Geräte benötigen Sie zum Forschen?
AF: Wir hatten den großen Vorteil, dass wir wussten, welche Gruppen das Gebäude auf Seiten des DZNE nutzen werden und welches Forschungsprofil sie haben. Deshalb war uns auch klar, welche Schlüsseltechnologien wir in den nächsten zehn Jahren benötigen. Eine Sequenziereinheit für die Ganzgenomsequenzierung und ein Gerät, mit dem wir Zellen sortieren. Beides sind sensitive, kosten- und wartungsintensive Geräte, die mehrere Spezialräume u. a. für die Probenvorbereitung benötigen. Diese Geräte haben wir einmal zentral im Gebäude angeordnet und hatten dann mehr Platz für andere individuelle Anforderungen.
SR: Neben regulären Laboren und Aufstellorten für Mikroskope stellte insbesondere das NanoSIMS uns vor Herausforderungen. Von dieser Maschine gibt es weltweit nur etwa 40 Stück. Sie schießt mit atomarer Präzision Ionen auf eine Probe, so dass Atome herausbombardiert werden, die mit Detektoren gemessen werden. Das Gerät ist empfindlich für Vibrationen und Temperaturschwankungen. Deshalb war von Anfang an geplant, einen eigenen, speziell angepassten Raum für das Gerät zu bauen. Er ist mit einem sehr ungewöhnlichen Lüftungssystem ausgerüstet, bei dem kalte Luft von unten in den Raum strömt und von oben abgesaugt wird. Außerdem ist der Raum schwingungsentkoppelt und auf Dämpfern gelagert.
Welche Vorteile ermöglicht Ihnen das Gebäude jetzt nach Fertigstellung?
MJ: Vor Beantwortung dieser Frage sollte man kurz erwähnen, dass man für die EInheit BIN während der Planungs- und Bauphase noch nicht genau wusste, wer die Räume bezieht, weil Gruppen sich für die Nutzung des Gebäudes bewerben mussten. Entsprechend konnte man deshalb die Anforderungen nicht ganz so spezifisch definieren, wie auf Seiten des DZNE.
AF: Das ist richtig, Herr Jäger. Weil aber die Aufstellräume im DZNE gleich hinreichend dimensioniert worden sind und BIN-Teams später hier Geräte wie einen zusätzlichen Zellsortierer aufstellen konnten, funktioniert das gut. Andere Räume im Bereich des DZNE, wie unsere zentrale Zellkultur, werden jetzt ebenfalls vom BIN benötigt und können auch gemeinsam genutzt werden.
SR: Beide Institute haben viele Anknüpfungen, weil sie technisch und thematisch eine ähnliche Fokusrichtung haben. Täglich arbeiten Mitarbeitende beider Teams zusammen und nutzen gemeinsam die vorhandenen Geräte. Das Gebäude ist die optimale Basis für diese Kooperation, die sonst so nicht zu machen wäre. Die Nähe ist äußerst wichtig für die wissenschaftliche Kooperation, z. B. weil Proben den Transport sonst nicht überdauern würden. Natürlich ist es wichtig, die Büros sinnvoll zusammenzustellen. Wichtig war uns auch, das eigene Gebäude mit Hörsälen, bestuhlten Konferenzräumen, Abstellräumen so zu gestalten, dass es auch für Vorträge, Tagungen und Kongresse genutzt werden kann.