In der Domschule in Güstrow findet man sich am Schnittpunkt der Architekturgeschichte wieder: Der moderne Haupteingang vermittelt zwischen dem Renaissance-Schulgebäude und einem Zweckbau aus dem 19. Jahrhundert. Wer tiefer in das Gebäude eindringt, entdeckt weitere, sensibel herausgearbeitete Berührungspunkte mit der Vergangenheit.
Von 2012 bis 2014 wurde die denkmalgeschützte Domschule in Güstrow zur Nutzung als Haus 3 des benachbarten John-Brinckman-Gymnasiums saniert und umgebaut. Die Baumaßnahme im Auftrag der BIG-STÄDTEBAU GmbH, treuhänderischer Sanierungsträger der Stadt Güstrow, wurde mit Städtebaufördermitteln des Bundes, des Landes sowie Eigenmitteln der Stadt Güstrow finanziert. Das Gebäude der Domschule geht vermutlich auf den italienischstämmigen Architekten Franz Parr zurück und wurde von Baumeister Philipp Brandin 1575/1579 fertig gestellt. Es ist das älteste erhaltene Schulgebäude im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Das als Einzeldenkmal von nationaler Bedeutung geschützte Ensemble der Schule Güstrow besteht aus zwei Gebäudeteilen: dem im Stil der Renaissance als dreigeschossigem Fachwerkständerbau errichteten Altbau sowie einem rechtwinklig angeordneten Anbau in Ziegelbauweise aus dem Jahre 1868. Die über 400-jährige durchgehende Nutzungsgeschichte des Gebäudes als Schule reicht bis in das Jahr 2001. Den Anforderungen an einen zeitgemäßen Schulbetrieb nicht mehr genügend und mit erheblichen baulich-konstruktiven Mängeln belastet, wurde das Gebäude im Anschluss zu Lagerzwecken genutzt bzw. stand leer. Als Zeugnis von Nutzung, Baugefüge und Erscheinungsbild ist es einzigartig im gesamten norddeutschen Raum.
Herzog Johann Albert I. bestimmte 1552, „es solle eine Schule mit einem gelehrten Schulmeister und zwei Schulgesellen gestiftet und für dieselbe demnächst ein neues Schulgebäude errichtet werden“. 1553 ging dann die neue Domschule aus der Zusammenlegung der Domstiftschule und der Ratsschule hervor. Als Stiftsschule begann ihre Geschichte bereits 1236 und ihr Ziel war die Ausbildung von Geistlichen. 1942 gab es eine weitere Veränderung: Das Realgymnasium John Brickman und die Domschule wurden zusammengelegt. Bemerkenswert ist die historische Bibliothek der Domschule. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste ihr Bestand 60.000 Bände, was sie zu einer der größten in Mecklenburg machte. Zum Bestand gehörten auch 19 Inkunabeln, Drucke aus der Frühzeit des Buchdrucks.
Sanierung der baulichen Substanz
Bereits 2004 war eine Fassadensanierung erfolgt, bei der auch eine illusionistische Renaissance-Fassadenmalerei auf Putzuntergrund rekonstruiert worden ist. Das seitdem wieder eindrucksvolle äußere Erscheinungsbild des Altbaus aus dem 16. Jahrhundert täuschte darüber hinweg, dass die materielle Substanz im Gebäudeinneren dringend sanierungsbedürftig war und der fortschreitende Verlust der Gebäudesubstanz gestoppt werden musste. Die Bestandsaufnahmen ergaben erhebliche Schäden durch zwischenzeitliche Eingriffe, Alterungen, Schädlingsbefall und Feuchteeinwirkung sowie statische, strukturelle und gestalterische Mängel. Der Anbau von 1868 war vor allem durch Alterungsspuren, Abnutzung und zurückliegende Setzungen bzw. Rissbildungen gekennzeichnet. Auch hier wurden im Rahmen von Gutachten erhebliche Substanzgefährdungen und –verluste durch Schädlingsbefall und Feuchteeinwirkung festgestellt.
Aufbauend auf diesen Befunden wurde das Gebäude an die räumlichen, technischen sowie bauphysikalischen und raumklimatischen Anforderungen einer modernen Schulnutzung angepasst. Hierzu mussten z. B. die Fußböden gegen Erdreich in beiden Gebäuden vollständig neu aufgebaut werden, um Flächenabdichtungen, Dämmung, tragfähige Estrich-Untergründe und stufenlose Höhenniveaus zu erreichen. Darüber hinaus sind an den Wänden fehlende horizontale Querschnitts- und äußere vertikale Abdichtungen erdberührender Bauteile nachgerüstet und anschließend der Feuchtehaushalt reduziert worden. Die Putze an Innenwänden mussten erneuert und in definierten Abschnitten substanziell erhalten, stabilisiert und repariert werden.
Ebenfalls galt es, Holzkonstruktionen und Gefacheputze einschließlich farbiger, grafischer und ornamentaler Gestaltung zur Dokumentation des Renaissance- bzw. Barock-Erscheinungsbildes zu sichern und als Fenster in die Vergangenheit zu zeigen. Nicht sichtbar für den Nutzer stabilisieren Stahlelemente das Gebäude und stellen die Tragfähigkeit sicher. Die Backsteinfassade des Anbaus von 1868 wurde umlaufend saniert, Fensteröffnungen mussten z. T. zu Fluchttüröffnungen vergrößert werden. Innentüren wurden umfassend tischlermäßig und entsprechend der epochentypischen Farbigkeit aufgearbeitet. Um einen zeitgemäßen Unterrichtsbetrieb zu ermöglichen, wurde in den Klassenzimmern die Raumakustik optimiert. Damit die 272 Schüler und 12 Lehrer des John-Brickman-Gymnasiums das Erdgeschoss und erste Obergeschoss des historischen Schulgebäudes als zusätzliche Klassenräume sowie Fachräume für den Zeichen-, Musik und Medienunterricht nutzen können, mussten der Eingangsbereich und die Verteilflächen angemessen vergrößert werden. Hierzu wurde ein neues teilverglastes verbindendes Erschließungsbauwerk als Treppenhaus in den Bestand eingeschoben. Es dient der Erschließung der oberen Geschossen beider Bauteile – trotz unterschiedlicher Deckenhöhen. Das Treppenhaus stellt den hausgeschichtlich ursprünglichen Zugang zu den Gebäuden durch die Öffnung der vormaligen Treppenhaus-Zugänge im ersten und zweiten Obergeschoss wieder her. Über einen rollstuhlgeeigneten Personenaufzug sind alle Geschossebenen beider Gebäudeteile barrierefrei zu erreichen. Zusätzlich wurde eine eingelagerte historische Holzwendeltreppe nach einer Aufarbeitung zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss im Altschulteil eingefügt.
Verantwortungsvoller Umgang mit der Gebäudehistorie
Den ursprünglichen Zustand des Gebäudes wiederherzustellen, war nicht das Ziel der Sanierungsmaßnahme. Vielmehr sollte die Geschichte des Gebäudes anerkannt und als Teil der Selbstdokumentation herausgearbeitet werden. Aufgrund der langen Nutzungsgeschichte erlebte das Gebäude mehrfache Überformungen mit den Merkmalen der jeweiligen Stilepoche – der Renaissance, des Barock, des Klassizismus und des Historismus. Hinzu kamen noch die zweckorientierten Veränderungen des 20. Jahrhunderts. Diese Eingriffe haben sich sowohl in tiefgreifenden Veränderungen im Raum- und konstruktiven Gefüge sowie in der Umgestaltung von Oberflächen- und Detailausbildung der Innenräume niedergeschlagen.
Merkmale der Stilepochen treten an verschiedenen Stellen im Gebäude deutlich hervor und wurden dort erhalten. Beispielsweise wurden die Folgen des nachhaltigen Eingriffes durch den Anbau von 1868 konstruktiv, gestalterisch und hausgeschichtlich nicht ignoriert und beschönigt, sondern als Tatsache angenommen und ablesbar gemacht. Nur die Harmonisierung raumseitiger Oberflächen, wie sie durch den Klassizismus zutage getreten sind, wurden partiell wieder aufgegeben. Das Erschließungsbauwerk bewirkt nicht nur eine optimierte Zugangssituation und schafft Raum zur Entfluchtung der Schule- Es erfüllt insbesondere auch die Aufgabe, die baukörperliche Verfremdung des Altbaus aus dem 16. Jahrhundert durch den Anbau von 1868 erlebbar zu machen. Dies gelingt, weil ein in seiner Substanz gut erhaltener und selbsterklärender Fassaden-Altbau als Innenwand sichtbar gemacht wurde. Hierzu wurden die Ost-Fassade des Anbaus von 1868 in dem Bereich, in dem sie nahezu rechtwinklig auf das Gebäude der Domschule trifft, und Teile der Geschossdecken zurückgebaut, so dass die Fassade des älteren Bauteils wieder in ihrem historischen Zusammenhang erkennbar ist. Die Treppenläufe der Vertikalerschließung sind von der Bestands-Innenfassade des Altbaus so abgerückt, dass sich auch in der dritten Dimension die historische Tiefe des Gebäudes ungehindert wahrnehmen lässt. Auch der Aufzug nimmt sich in einem verglasten vitrinenartigen Schacht-Bauwerk zurück, um die Geltung des Bestands nicht zu beeinträchtigen.
Gravierende Änderungen an der gegebenen Raumstruktur wurden nicht vorgenommen, so dass Raumprogramm und Anforderungen der Nutzer sich an den gegebenen Strukturen orientieren mussten. Im ersten Obergeschoss wurden verfremdende innere Trennwände entfernt. Um eine funktionelle Untergliederung des Geschosses in zwei Räume zu erzielen, blieb eine raumtrennende Fachwerkwand erhalten und wurde raumakustisch optimiert. Auch die Längswand des Erschließungsflures in Fachwerkbauweise blieb aus funktionellen und konstruktiven Gründen bestehen. Die Wand läuft jedoch sinnwidrig direkt auf eine rekonstruierte Fassadenöffnung der Ost-Giebelseite zu. Diese Konfrontation des Bestands mit einem späteren Einbau wurde als Teil der Hausgeschichte erlebbar gemacht, indem die Fachwerkerfüllung unmittelbar vor dem Fenster entfernt wurden, so dass das Fenster vollständig erlebbar ist.
Eingriffe in die Tragstruktur
Die Bestandsaufnahme ergab erhebliche Schäden durch zwischenzeitliche Eingriffe, Alterung, Schädlingsbefall und Feuchteeinwirkung sowie statische, strukturelle und gestalterische Mängel. So wurden die Fußböden vollständig neu aufgebaut, um u.a. tragfähige Estrich-Untergründe zu erreichen. Darüber hinaus wurden an den Wänden fehlende horizontale Querschnitts- und äußere vertikale Abdichtungen erdberührender Bauteile nachgerüstet. Ebenfalls galt es, Holzkonstruktionen und Gefacheputze zu sichern und über stabilisierende Stahlelemente die Tragfähigkeit wiederherzustellen. Im ersten Obergeschoss wurden verfremdende innere Trennwände entfernt und eine raumtrennende Fachwerkwand zur Untergliederung in zwei Räume erhalten.
Erlebbarkeit der Gebäudegeschichte
Die Sanierung der denkmalgeschützten Domschule in Güstrow ist ein herausragendes Beispiel für erlebbare Gebäudehistorie. Zielorientiert wurden moderner Nutzungsanspruch und Erhalt wertvollster historischer Bausubstanz in Einklang gebracht, ohne dabei eine museale Nutzung zu forcieren.